Frankfurt am Main, 21. September 2021 – Seit Anfang 2021 gilt das Handels- und Kooperationsabkommen (Trade and Cooperation Agreement TCA) zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Damit gehört das Land nicht mehr zur EU-Zollunion und die bürokratischen Hürden für den Handel haben deutlich zugenommen. Kevin Richardson, Chief Executive beim Chartered Institute of Logistics & Transport im Vereinigten Königreich (CILT UK) wies bei der letzten Veranstaltung des Air Cargo Club Deutschland auf die Probleme hin, die sich daraus vor allem für kleine und mittelständige Unternehmen ergeben. CILT ist die Interessensvertretung der Transport- und Logistikbranche in Großbritannien und setzte sich während der Brexit-Verhandlungen und darüber hinaus für die Bedürfnisse des Sektors ein.

 

Während das europäische und internationale Luftfrachtgeschäft während der Pandemie einen wahren Boom erlebt, stehen britische Unternehmen vor der Herausforderung den gestiegenen Verwaltungsaufwand bei Im- und Exporten zu bewältigen. Kevin Richardson, Chief Executive vom CILT UK wies beim Aircargo Club Deutschland auf die Probleme durch den Brexit hin: „Zwar waren die unmittelbaren Auswirkungen des Brexits geringer als erwartet, da viele Importeure ihre Einkäufe schon auf Ende 2020 vorgezogen haben und somit die Lagerbestände als Puffer dienen konnten. Trotzdem hat das Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) erhebliche regulatorische, logistische und administrative Handelshemmnisse nicht beseitigt und bleibt damit weit hinter dem Ziel zurück, einen reibungslosen Handel zu gewährleisten.“

 

Insbesondere viele kleine und mittelständische Unternehmen haben Probleme die neuen Zollvorschriften – etwa Gesundheitszeugnisse im Lebensmittelbereich – einzuhalten. Die britischen Pläne zum Abweichen von EU-Regeln und Standards etwa im Datenschutz, bei Lebensmitteln oder in der Chemie erhöhen die Unsicherheit für deutsche Unternehmen im UK-Geschäft. Laut dem Statistischen Bundesamt sank dadurch der Warenverkehr zwischen Deutschland und Großbritannien im ersten Halbjahr 2021 um 2,3 Prozent auf einen Wert von 48,3 Milliarden Euro. Damit liegt das Vereinigte Königreich nur noch auf Platz 11 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Vor dem Brexit-Entscheid 2016 war UK noch der fünftwichtigste Handelspartner.

 

Prof. Dr. Christopher W. Stoller, Präsident des Aircargo Club Deutschland, sieht im Brexit auch eine Chance für den deutschen Luftfracht- und Logistikmarkt: „Viele Waren, die für den europäischen Markt bestimmt sind und bisher über britische Flughäfen umgeschlagen wurden, werden nun direkt zu Flughäfen innerhalb der EU transportiert, um von dort unkompliziert weiterverteilt zu werden. Dies kann sich als Vorteil auch für deutsche Luftfrachtstandorte erweisen. Außerdem bietet der Brexit insbesondere für Logistikdienstleister Chancen, da sich das Zollgeschäft wieder belebt und ihre Expertise nun gefragt ist.“

 

Doch die britische Transport- und Logistikbranche hat nicht nur mit den neuen Vorschriften zu kämpfen. Es gibt auch einen Mangel an Lkw-Fahrern, der auf eine Reihe von Faktoren wie COVID-19 und Steueränderungen zurückzuführen ist. Im Vereinigten Königreich fehlen rund 65.000 Fahrer, darunter etwa 12.500 aus der EU, die während der Pandemie ausgereist sind, weil die britische Regierung sie nicht als qualifizierte Arbeitnehmer eingestuft hat und sie daher nicht visaberechtigt sind. Die Unterbrechung der internationalen Lieferketten durch die Pandemie und der Produktverfügbarkeit aufgrund von Produktionskapazitäten sowie die Änderungen im Rahmen des TCA führen zu erheblichen Lieferengpässen. „Die Regierung muss ihren Teil zur Aufrechterhaltung der Lieferketten beitragen. Wir sind entschlossen, mit der britischen Regierung, dem Partnership Council und der Industrie zusammenzuarbeiten, um die Herausforderungen so schnell wie möglich zu bewältigen. Lieferketten sind komplexe internationale Netzwerke und alle Beteiligten müssen dafür sorgen, dass der Handel so reibungslos wie möglich funktioniert”, sagte Richardson.

 

Zuletzt hatte die britische Regierung die Einführung von Grenzkontrollen für Warenimporte aus der EU auf das kommende Jahr verschoben. Dieser Schritt wurde laut der Regierung notwendig, damit sich die Unternehmen von der Pandemie erholen können und die Probleme bei den Lieferketten nicht weiter verschärft werden. Während die Briten die Grenzformalitäten stufenweise einführen, kontrolliert die EU bereits seit dem 1. Januar 2021. Einige Unternehmensverbände in Großbritannien beklagen deshalb, die Verschiebung der britischen Kontrollen verlängere Wettbewerbsvorteile für EU-Unternehmen.